Philosophie und Diversität

Leitfaden

Diskriminierung als strukturelles Problem

In Anlehnung an gängige Definitionen von Diskriminierung konzentrieren wir uns hier auf sogenannte Strukturelle Diskriminierung (vgl. etwa Young 1990 für den Begriff der „structural oppression“ sowie Czollek et al. 2019 & 2023 für den Begriff der „Strukturellen Diskriminierung“). Das Konzept der Strukturellen Diskriminierung verweist auf das Zusammenwirken der individuellen, kulturellen und institutionellen Ebenen von Diskriminierung (vgl. Czollek et al. 2019, S. 16). Auf individueller Ebene wird Diskriminierung durch diskriminierendes Sprechen und Handeln von Einzelpersonen hergestellt. Auf kultureller Ebene werden diskriminierende Annahmen in Form von Normen, Werten und (Sprach-)Bildern vermittelt. Auf institutioneller Ebene findet Diskriminierung durch Gesetze und rechtlich verankerte Praxen statt, die von Institutionen umgesetzt werden (vgl. ebd.), sowie durch institutionell festgelegte Standards. Diskriminierung manifestiert sich darüber hinaus in unterschiedlichen Diskriminierungsformen, u.a. Antisemitismus, Klassismus, Rassismus, Rassismus gegen Roma und Sinti, Ableismus, Ageismus, Adultismus, Antislawismus, Heterosexismus, Sexismus, Diskriminierung von trans*, inter* und nicht-binären Personen, Diskriminierung Ost, Migratismus oder Diskriminierung aufgrund von Weltanschauung.

Für den Kontext der Philosophie, insbesondere des akademischen, an Universitäten praktizierten Fachs, lässt sich das Vorliegen von Diskriminierung anhand der drei Ebenen beispielhaft verdeutlichen. Diskriminierung äußert sich …

… institutionell zum Beispiel durch Ausschlüsse auf Ebene der Studienfachbewerbung (z.B. Numerus Clausus, Staatsbürger:innenregelungen, Sprachkenntnisse), der Qualifikationskriterien (quantitative vor qualitativen Kriterien, Nichtberücksichtigung von Elternzeit, …) und/oder in Förderlinien (z.B. Antragstellung, Stipendienvergabe);

… kulturell zum Beispiel durch einen herabwürdigenden und/oder stereotypisierenden Sprachgebrauch; die Zuschreibung von „Betroffenheit“ und Absprache von Objektivität auf Grundlage von Annahmen über die Gruppenzugehörigkeit von Personen; die Zuschreibung von Themen, Interessen, Können und Nicht-Können auf Grundlage von Annahmen über die Gruppenzugehörigkeit von Personen; damit einhergehendes ausbeuterisches Verhalten; und/oder durch sogenannte Zitationskartelle (enge Zirkel, die sich gegenseitig zitieren);

… individuell zum Beispiel durch gehäufte negative Erfahrungen und Scheitern in Bewerbungsverfahren; das Erfahren von sexualisierter, rassistischer, klassistischer, ableistischer usw. Gewalt; die Absprache von Kompetenz; herabwürdigende Bemerkungen über das Äußere, die Körperlichkeit, das Verhalten, Intimleben etc. von Personen; und/oder unerwünschten Körperkontakt und Übergriffigkeit.

Für die jeweils unterschiedlichen Diskriminierungsformen lässt sich dies beispielhaft noch weiter spezifizieren:[1]

  • mit Blick auf Ableismus: unter anderem herabwürdigende und/oder feindselige Äußerungen über Menschen mit Behinderung oder als behindert markierte Personen; Verweigerung der Umsetzung von Barrierefreiheit; Nicht-Bereitstellung technischer Hilfsmittel oder barrierefreier Webseiten;
  • mit Blick auf Anti-Muslimischen Rassismus: unter anderem herabwürdigende und/oder feindselige Äußerungen über Islam, Muslim:innen und/oder als muslimisch markierte Personen; Ethnisierung der Beiträge von als muslimisch markierten Personen (Zuordnung zu „Islamwissenschaften“ statt etwa Philosophie, Literaturwissenschaften etc.);
  • mit Blick auf Antisemitismus: unter anderem herabwürdigende und/oder feindselige Äußerungen über Judentum, Juden/Jüd:innen, als jüdisch markierte Personen und/oder Israel[2]; Ethnisierung jüdischer Beiträge (Zuordnung zu „Jüdischen Studien“, „Judaistik“ usw. statt etwa Philosophie, Literaturwissenschaften etc.);
  • mit Blick auf Heterosexismus und Diskriminierung von trans*, inter* und nicht-binären Personen: unter anderem herabwürdigende und/oder feindselige Äußerungen über schwule, lesbische, bisexuelle, trans* oder inter* Personen oder als solche markierte Personen; misgendern oder deadnaming von Personen; fehlende Repräsentation nicht-binärer Geschlechtlichkeit oder geschlechtsneutraler Ansprache in Anträgen, Formularen, Schriftverkehr;[3]
  • mit Blick auf Klassenherkunft/Klassenzugehörigkeit: unter anderem herabwürdigende Äußerungen über Bildungsstand, Sprachgebrauch, soziale Herkunft, sozialen Status oder als ‚bildungsfern‘ markierte Personen; Ausschluss aus Arbeitsfeldern aufgrund von Annahmen über Leistungsfähigkeit; schlechtere Bewertung von Leistungen aufgrund von Annahmen über soziale Herkunft; Abwertung nicht-gymnasialer Bildungsabschlüsse; Abwertung nicht-linearer Lebensläufe;
  • mit Blick auf Migratismus: unter anderem Nicht- oder erschwerte Anerkennung ausländischer Schul- und Studienabschlüsse; Sprachbarrieren in Bewerbungsverfahren und Lehrveranstaltungen;
  • mit Blick auf Rassismus: unter anderem herabwürdigende und/oder feindselige Äußerungen gegenüber Personen auf Grundlage von Rassifizierung, etwa über Aussehen, geographische Herkunft, Namen, Verhaltensweisen, Sprache/Akzent; Ethnisierung der Beiträge von als nicht-europäisch markierten Personen (Zuordnung zu „Sinologie“, „Japanologie“ usw. statt etwa Philosophie, Literaturwissenschaften etc.);
  • mit Blick auf Sexismus: unter anderem sexualisierte Belästigung; sexuell herabwürdigender Sprachgebrauch gegenüber Frauen* oder als Frauen* markierter Personen; jegliche Form der sexualisierten Nötigung; Diskriminierung von Fürsorgepersonen durch Vorgaben etwa in Drittmittelprogrammen;[4]

[1] Vgl. auch Fachhochschule Potsdam (2018): Diversity-Leitbild zum anerkennenden Umgang am Fachbereich Sozial- und Bildungswissenschaften.
[2] In Deutschland stehen vor allem zwei Definitionen zur Diskussion: die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und die Definition der Jerusalemer Erklärung.
[3] Vgl. hierzu ausführlich z.B.: Akademie der bildenden Künste Wien (Hg.) (2019): trans. Inter*. Nicht-binär. Lehr- und Lernräume an Hochschulen geschlechterreflektiert gestalten. 
[4] Vgl. hierzu ausführlich: SWIP Germany e.V. (o.D.): Good Practice Guide.

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